Telefunken: Aufstieg und Zerfall eines deutschen Elektronikpioniers
Über weite Teile des 20. Jahrhunderts gehörte Telefunken zu den einflussreichsten Namen der europäischen Elektronikindustrie. 1903 als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens & Halske und AEG gegründet, prägte das Unternehmen frühe Funktechnik, Radarsysteme, professionelle Rundfunkausrüstung und später auch die erste Generation europäischer Halbleiterkomponenten. Nur wenige deutsche Firmen haben die technische Landschaft des Kontinents so stark beeinflusst wie Telefunken.
Ende der 1980er- und in den 1990er-Jahren existierte das Unternehmen jedoch in seiner ursprünglichen Form nicht mehr. Marktverschiebungen, strukturelle Probleme bei AEG und zunehmender globaler Wettbewerb führten zu einer schrittweisen Zerschlagung der Telefunken-Geschäfte. Übrig blieb ein technologisches Erbe, das in verschiedene internationale Konzerne überging.
Von der Funktechnik zur Halbleiterproduktion
In seinen frühen Jahrzehnten konzentrierte sich Telefunken auf drahtlose Kommunikation, Röhrentechnik und Radar. Das Unternehmen wurde ein zentraler Lieferant für Industrie, Rundfunk und Verteidigung und galt als einer der technologisch führenden Hersteller Deutschlands.
In den 1960er- und 1970er-Jahren baute Telefunken zudem eine starke Position in der Halbleiterfertigung auf. Produziert wurden Transistoren, Logikkomponenten und kundenspezifische ICs für industrielle und konsumerelektronische Anwendungen. Diese Aktivitäten gingen später in AEG-Telefunken auf — ein Versuch, deutsche Elektronikkompetenz unter einem Dach zu bündeln.
Gleichzeitig verschärfte sich der internationale Wettbewerb. Die Halbleiterindustrie erforderte enorme Investitionen, um mit Herstellern in den USA und Japan mithalten zu können. AEG-Telefunken kämpfte damit, ein breites Produktportfolio profitabel zu halten.
Eine verstreute Industrieerbschaft: Thomson, Temic und Atmel
Mit der Restrukturierung von AEG wurden Telefunkens Elektronikbereiche in mehrere Richtungen aufgeteilt:
- Teile des Consumer- und Professionalelektronikgeschäfts gingen an Thomson, das ausgewählte Telefunken-Technologien in sein Portfolio integrierte.
- Die Halbleitersparte entwickelte sich zu Temic weiter — mit einem Schwerpunkt auf Automobil- und Industrieelektronik.
- Temic wurde später an Atmel verkauft, wodurch Telefunkens Halbleitererbe in einem globaleren Umfeld mit höheren F&E-Ressourcen weiterlebte.
- Nach der Übernahme von Atmel durch Microchip floss ein Teil dieses technologischen Erbes in dessen Produkt- und IP-Struktur ein.
Telefunken verschwand als Unternehmen — doch seine Technologie wanderte weiter.
Warum Telefunkens Geschichte heute noch relevant ist
Der Niedergang des Unternehmens schmälert seine langfristige Bedeutung nicht. Telefunkens Geschichte zeigt, wie Europas frühe Führungsrolle in der Elektronikindustrie unter dem Druck globaler Konsolidierung zunehmend zerfiel.
Gerade heute wirkt Telefunkens Geschichte in aktuelle Debatten der europäischen Elektronikindustrie hinein.
Fragen nach Versorgungssicherheit, technologischer Unabhängigkeit und globaler Wettbewerbsfähigkeit erinnern stark an Herausforderungen, die Telefunken bereits Jahrzehnte zuvor bewältigen musste. Die Entwicklung des Unternehmens zeigt, dass industrielle Führungspositionen nicht allein durch Innovation entstehen, sondern vor allem durch die Fähigkeit, sich an veränderte globale Strukturen anzupassen — ein Thema, das Europas Halbleiterpolitik bis heute prägt.
Drei Aspekte bleiben besonders relevant:
- Frühe Halbleiterkompetenz: Telefunken legte Grundlagen für die deutsche und europäische Chipentwicklung — lange bevor die heutige Debatte über lokale Fertigung begann.
- Das Verschwinden vertikal integrierter Hersteller: Die Zerschlagung verdeutlicht, wie schwierig es für europäische Unternehmen wurde, die gesamte Elektronikwertschöpfungskette abzudecken.
- Ein verstreutes industrielles Erbe: Technologien aus Berlin und Ulm leben heute in internationalen Konzernen weiter — ein Beispiel dafür, wie industrielles Know-how durch Übernahmen wandern kann.
Telefunken ist mehr als eine verschwundene Marke. Die Geschichte zeigt, wie prägend deutsche Forschung und Fertigung einst für die globale Elektronik waren — und wie dieses Erbe bis heute in vielen verstreuten Fragmenten fortbesteht.
