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Elektronikproduktion |

Outsourcing als Überlebensstrategie

Von Gábor Szabados, Senior Director für Healthcare/Life Sciences - EMEA, Plexus Die Medizintechnik in Deutschland galt lange als Innovationstreiber und Wirtschaftsmotor schlechthin. Doch die anhaltende Konjunkturschwäche im eigenen Land und die geopolitischen Krisen im Rest der Welt haben Spuren hinterlassen. Outsourcing entwickelt sich damit nicht nur in Sachen Fertigung zur wichtigen Überlebensstrategie.

Das Stimmungsbild der MedTech-Hersteller für 2024 ist gemischt. Die Kosten für Material, Energie und Personal sind nach wie vor hoch. Übernahmen und Fusionen prägen den Markt. Es gibt wohl kaum einen Hersteller, der den Gürtel im letzten Jahr nicht enger geschnallt hat. Große Konzerne haben ganze Geschäftsfelder abgestoßen, um sich in die schwarzen Zahlen zu retten. Und nicht zuletzt bremsen Hürden beim Export – wie der Korruptionsskandal und die wachsenden Sicherheitsbedenken in China – die Auftragsvergabe weiter aus.

Während andere Länder positiv auf den Rest von 2024 blicken können, lässt der Aufschwung der deutschen Wirtschaft laut IW-Konjunkturprognose auf sich warten. Eine Rückkehr auf den Wachstumspfad ist in der deutsche Medizintechnikindustrie wohl frühestens in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen. Und auch dann steht der deutschen Wirtschaft wohl nur ein schwaches reales Umsatzwachstum bevor.

Compliance-Last drückt schwer

Dass es sich teilweise um ein hausgemachtes Problem handelt, zeigt die Umfrage von DIHK, Medical Mountains und SPECTARIS zur EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR). Seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 2017 wurde die Richtlinie mehrfach geändert. An Praxistauglichkeit hat sie jedoch nichts gewonnen. Der immense bürokratische Aufwand, die damit hohen Kosten und die teils langen Wartschleifen bei Behörden drücken die Innovationskraft von drei Viertel der Unternehmen. In mehr als jedem zweiten Produktportfolio verschwinden einzelne Produkte, teilweise sogar ganze Sortimente.

Den Mittelstand trifft es besonders hart. Hier ist der Verwaltungs- und Kostenaufwand um ein Vielfaches größer als bei großen Konzernen. Gerade die MedTech-Branche ist aber stark mittelständisch geprägt. Laut BVMed beschäftigen 93 Prozent der Unternehmen weniger als 250 Personen. Eine Entlastung ist trotz aller Kritik nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Katalog an neuen Auflagen und Pflichten wächst weiter.

Als Nächstes stehen die Pläne der EU zur Beschränkung von per- und polyfluorierten Stoffen (PFAS) auf der Compliance-Agenda von Herstellern. Einen ersten Vorschlag für ein weitreichendes Verbot gab es bereits 2023. PFAS sind auf Grund ihrer Langlebigkeit für die Fertigung von enormer Bedeutung und für die Herstellung von medizintechnischen Geräten oft alternativlos. Gelangen sie in die Umwelt, können die Industriechemikalien jedoch Böden, Gewässer, Tier- und Pflanzenwelt belasten. Viele befürchten, dass ein pauschales Verbot die MedTech-Branche vor neue Aufgaben stellt, die interne Compliance-Teams kaum noch allein stemmen können.

Strategie: Raus aus der Stagnation

Für Medizintechnikhersteller stellt sich die Frage, wie sie angesichts des volatilen Klimas am Markt wettbewerbsfähig bleiben können. Eine einfache Antwort gibt es darauf nicht. Klar scheint, dass mehr Ressourcen nötig sind, um sich aus der Stagnation frei zu kämpfen und wieder agil und innovationsstark im globalen Wettbewerb mitzuspielen. Outsourcing gilt nicht erst seit gestern als bewährte Strategie, um mit einem Schlag Kosten zu senken und an Skalierbarkeit hinsichtlich Ressourcen zu gewinnen.

In erster Linie geht es dabei darum, die Produktion in kostengünstige Länder auszulagern, um sich wieder verstärkt auf die Kernkompetenzen zu fokussieren. Doch auch andere nicht-strategische Aufgaben geben Hersteller mittlerweile gerne an einen externen Partner weiter. Viele EMS-Dienstleister haben in den letzten Jahren ihre Services rund um Entwicklung, Supply Chain, Compliance und Nachhaltigkeit ausgebaut. Outsourcing gewinnt damit in allen Phasen des Produktlebenszyklus an Bedeutung.

Design und Entwicklung: An Agilität gewinnen

Innovationskraft setzt eine agile und schlanke Entwicklung voraus. Das Dilemma: Tauchen neue Technologien auf dem Markt auf (wie der GenAI-Boom mit ChatGPT im letzten Jahr), ist es für Unternehmen schwierig, kurzfristig die notwendigen Ressourcen und Kompetenzen aufzubauen, um von diesem Trend zu profitieren. Das gleiche gilt, wenn sich Kundenforderungen ändern oder Compliance-Vorgaben vor der Tür stehen. Neue Kompetenzen intern aufzubauen, kostet Zeit und Geld. Die Time-to-Market macht Druck, der Markt ist dynamisch und die Kundenerwartungen hoch.

Wer in der Design- und Entwicklungsphase externe Experten hinzuholt, kann von deren branchenübergreifenden oder sogar branchenfremden Expertise profitieren. KI-, IoT- oder Softwarespezialisten helfen, bestehende Medizingeräte smart zu machen. Über 80 Prozent aller Umweltauswirkungen eines Produkts entscheiden sich bereits bei der Entwicklung. Damit ist das Thema Nachhaltigkeit eine Frage des Designs. Ein Partner, der über ein Lifecycle Assessment (LCA) Nachhaltigkeitspotentiale im Medizingerät aufdeckt und zur Optimierung des Produkts beiträgt, ist ein echter Zugewinn.

Was das Sorgenkind Compliance angeht: Es braucht regulatorisches Fachwissen, um mit den wachsenden Verordnungen Schritt halten zu können. Die Zertifizierung obliegt zwar schlussendlich immer dem Inverkehrbringer. Trotzdem kann ein Partner vor allem bei der Dokumentation und der Überprüfung von Compliance-Lücken viel Vorarbeit abnehmen. Fallen dann tatsächliche Änderungen an, steht ein entsprechendes Engineering-Team zur Stelle, um die Vorgaben fristgerecht umzusetzen.

Supply Chain: Von langjährigen Netzwerken profitieren

Die branchenübergreifende Erfahrung vieler EMS-Dienstleister macht sich nicht nur in der Entwicklung bezahlt. In der Regel verfügt ein Partner über ausgedehnte, diverse Netzwerke an Lieferanten. Das erlaubt es, flexibel auf Engpässe und Preisexplosionen zu agieren und auf alternative Zulieferer oder sogar Komponenten auszuweichen. Praktischerweise lässt sich die an die Lieferkette gebundenen Compliance-Aufgaben gleich mitauslagern – zum Beispiel das Lieferkettengesetz (LkSG) und dem geplanten Supply Chain Law der EU.

Wer einen Partner für das Supply Chain Management an Bord holt, erhält in der Regel End-to-End-Transparenz, interne und externe Bedrohungsanalysen, ein Warnsystem für Marktentwicklungen, Trade-Compliance-Funktionen sowie Obsoleszenz-Management. Damit können Hersteller Risiken und Störungen sowohl auf globaler als auf regionaler Ebene meist gelassener entgegensehen. Panikeinkäufe – wie sie in den letzten Jahren bei Halbleiterprodukten auftraten – könnten sich sogar vermeiden lassen. Nach Einschätzung von in4ma werden viele Unternehmen noch in diesem Jahr die Nachwehen der „Chip-Krise“ und den daraus resultierenden Bull-Whip-Effekt zu spüren bekommen.

Fertigung: Automatisiert, smart und nachhaltig

Die Fertigung gilt als klassischer Bereich für das Outsourcing. Für viele Medizingerätehersteller ist der Kostendruck mittlerweile so hoch, dass eine eigene Produktion nicht mehr tragbar ist. Digitale Transformation, IIoT sowie robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA), digitale Zwillinge und KI erfordern zudem neue Investitionen, um Fertigungsstandorte zu modernisieren. Der Trend zur Deindustrialisierung geht daher weiter und damit das Outsourcing in kostengünstige und trotzdem „nahe“ Länder, beispielsweise Osteuropa, sowie ein Fokus auf einer Produktion „in der Region für die Region“.

In der Fertigung sind die Automatisierung und Optimierung zudem eng an das Thema Nachhaltigkeit geknüpft. Die Smart Factory soll die Produktion effizienter, kostengünstiger und „grüner“ gestalten. Dazu gehören  energieeffiziente Anlagen, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, sowie neue Prozesse, um Abfallprodukte und Wasserverbrauch zu senken. Blickt man auf die wachsenden Aufgaben rund um das ESG-Reporting und die wachsenden Geschäftsanforderungen rund um Nachhaltigkeit, verwundert es nicht, dass Hersteller die Verantwortung – so weit wie möglich – weiter an den Auftragsfertiger geben wollen.

Aftermarket: Sustaining Service für neue Margen

Der Aftermarket in der Elektronikindustrie gehört zu den spannendsten Geschäftsfeldern und bietet echtes Business-Potential. Sustaining Services helfen, die Lebensdauer von Medizingeräten zu verlängern und im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu managen. Hersteller können zum Beispiel gebrauchte Geräte aufarbeiten (Refabrikation), sie wieder instandsetzen (Refurbishing) und sekundäre Rohstoffe wiederverwenden (Recycling). Das erfüllt die wachsenden Anforderungen rund um „grüne“ Elektronik und stößt sowohl bei Kunden als bei zukünftigen Mitarbeitenden (Stichwort: Fachkräftemangel) auf Interesse. Im Alleingang lassen sich solche Nachhaltigkeitsstrategien allerdings nur schwer umsetzen – womit wieder das Outsourcing in den Fokus rückt.

Argumente für das Outsourcing gibt es demnach genug. Fertigungskosten zu reduzieren ist dabei nur ein Grund. Immer mehr geht es darum, durch Partnerschaften langfristigen Mehrwert zu schaffen und aktuelle Trends sowie Hürden konsequent und zukunftsorientiert anzugehen. Gerade für die deutsche Medizintechnik – die auf eine lange Tradition zurückblickt und viele Aufgaben oft und gern in-house abwickelte – gibt es noch viel Potential nach oben.

Über den Autor: 

Gábor Szabados ist Senior Director für Healthcare/Life Sciences bei Plexus. Er ist für Business Development, Key-Account-Strategie und Performance im Bereich Medizinelektronik und Life Science in EMEA verantwortlich. 


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